Der bittere Beigeschmack

Unser Kommentar

Werbung ist allgegenwärtig. Ohne sie geht heute gar nichts in der Wirtschaft. Daher versuchen die klugen Köpfe bei den Marken-Herstellern und kreative Geister in den Werbeagenturen sich etwas Besonderes einfallen zu lassen, um auf jeden Fall aufzufallen. Ich persönlich finde den Trailer für den VW Tiguan- Trailer Assist mit lachenden Pferden total witzig. Fast jeder kennt die wunderbaren Weihnachts-Geschichten von EDEKA, die einen fast zu Tränen rühren können. Wenn es aber an kreativen Ideen mangelt, heißt der Schlachtruf oft „Provozieren!“ Und zwar um jeden Preis. Erinnert sich jemand an die Media Markt-Plakate in der Kölner Innenstadt, auf denen eine Frau mit drei Brüsten die Passanten zu mehr Einkäufen im Elektronikmarkt verführen sollte? Oder noch früher – eine Reihe von geschmacklosen Werbebildern vom ehemaligen Benetton-Fotografen Oliviero Toscani, die eine ölverschmutzte Ente, ein menschliches Gesäß mit dem Stempelaufdruck „H.I.V.-Positiv“, sowie schwer arbeitende Kinder in der Dritten Welt zeigten – verbunden mit dem Hinweis „United Colors of Benetton“.

Seit einigen Tagen erhitzt die Gemüter der Facebook-Nutzer aus Chorweiler die umstrittene Werbung des Fernet Branca Magenbitter-Getränks. Auf den Plakaten, die überall in Köln, nur nicht in Chorweiler hängen, steht der Spruch „Deine neue Wohnung hat eine tolle Aussicht. Sie liegt in Chorweiler.“ Und dazu der Werbeslogan der Marke: „Life is bitter“. („Das Leben ist bitter“). Es ist demnach also bitter in Chorweiler zu landen. In der Kampagne machen sich die Macher über verschiedene deutsche Städte lustig. Mit der Fokussierung auf einen benachteiligten Stadtteil erreichen sie allerdings eine neue Stufe der Taktlosigkeit.

Nun hat die Werbung ihr Ziel scheinbar fast erreicht: Viele kennen jetzt den Namen des alkoholischen Getränks „Fernet Branca“, das in Italien seit 1845 hergestellt wird. Das Getränk wird nach einem geheimen Familienrezept aus 27 Kräutern aus fünf Kontinenten gemischt. Es reift mindestens ein Jahr in Eichenfässern. Der Alkoholgehalt beträgt 39 bzw. 40 %, in Italien und Österreich 43 % Vol. So steht es jedenfalls bei Wikipedia.

In Wikipedia gibt es auch Infos über Chorweiler – die Entstehungsgeschichte, die Infrastruktur und der Hinweis, dass Chorweiler ein sozialer Brennpunkt sei. Die Hochhäuser von Chorweiler – einst „Neue Stadt“ genannt, was sich irgendwie toll nach den Neubauten in Paris der 60-er anhört: „Ville nouvelle“, prägen sein Erscheinungsbild. Leider war die Geschichte von Chorweiler alles andere als glamourös. Dennoch empfinden viele Einwohner diese äußere Wahrnehmung ihres Stadtteils als absolut unpassend. Die hilfsbereite Suchmaschine Google liefert einem, der über Chorweiler recherchiert, sofort Ergänzungen, nach denen wohl oft gesucht wird: „chorweiler kriminalität“, „chorweiler ghetto„, „chorweiler gefährlich“. Und genau in die gleiche Kerbe schlägt die Werbung der internationalen Marke „Fernet-Branca“. Hat sie es wirklich nötig?

Was die Macher der Werbung offensichtlich nicht wissen – die Aussicht aus den Hochhäusern ist wirklich super! Und die Mietpreise sind dazu auch sehr moderat. Und die Wohnungen sind viel besser geschnitten, als in manchem alten Veedel von Köln. Mit der Übernahme der 1.100 Wohnungen durch den städtischen Riesen GAG AG wird langsam, aber sicher, auch die Wohnqualität in Chorweiler wieder steigen. Den hartgesottenen und selbstbewussten Chorweilerianern kann die plumpe Werbung von Fernet Branca nur ein müdes Lächeln entlocken. Lasst uns gemeinsam weiter an der Aufwertung von Chorweiler arbeiten. Und irgendwann heißt die Werbung von Fernet-Branca: „Deine neue Wohnung hat eine tolle Aussicht. Sie liegt in  Chorweiler. Du Glückspilz.“

28.04.2017, Alexander Litzenberger

 

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