Der 9. Mai – der Tag des Sieges über Nazideutschland, ist einer der wichtigsten Staatsfeiertage im postsowjetischen Raum. Besonders in Russland ist er eine der tragenden Stützen des russischen Selbstverständnisses. In der Welt sind Bilder der großen Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau bekannt. Tausendfach finden im Land Kranzniederlegungen und Kundgebungen statt. Es gibt auch eine neue Form des Andenkens an die im zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten: das s.g. „Unsterbliche Regiment“ – tausende Nachkommen der Soldaten tragen in einer Kolonne die Fotos dieser Soldaten durch die Städte.
Seit 2015 versucht ein russischer Rockerclub namens „Nachtwölfe“ eine neue Tradition zu etablieren: gemeinsame Fahrt der Biker aus Moskau durch Osteuropa nach Berlin, um dort im Treptower Park Blumen für die gefallenen sowjetischen Soldaten niederzulegen. Dabei stoßen sie in diesen Ländern nicht immer auf Sympathie und Begeisterung.
Nachtwölfe MC (russisch Ночные Волки, transkribiert Notschnyje Wolki) ist der Name des 1989 gegründeten und größten kremelnahen russischen Motorrad- und Rockerclubs. Der Club gilt, laut Wikipedia, gegenwärtig als nationalistisch, anti-westlich, christlich-orthodox und homophob.
Bis zuletzt waren diese Biker-Rituale ein Phänomen der Hauptstadt Berlin. Nun tauchten Anfang Mai in Köln-Chorweiler Flugblätter in russischer Sprache auf, die zu einer Fahrt mit Motorrad und Auto am 8. Mai durch die Kölner Straßen mit dem Ziel „Porzer Friedhof“ aufrufen. Wir haben mit dem Initiator der Aktion, Sergej Besler, einem Mann mit tiefer und ruhiger Stimme, per Telefon gesprochen. Das Interview wurde auf Russisch geführt.
Red.: Ist es Ihre erste Aktion dieser Art in Köln?
Sergej Besler: Ja, mit dem Motorradkorso und Fahnen fahren wir am 8 Mai, am Tag der Befreiung, zum ersten Mal durch Köln. In den letzten zwei Jahren haben wir uns an dem Tag am Porzer Friedhof gesammelt, die Grabmale der sowjetischen Soldaten gepflegt und Kränze niedergelegt. Der orthodoxe Priester Viktor hat einen Gottesdienst gehalten. Aber so eine Fahrt, zusammen mit dem Rokerclub „Motostrishi“, organisieren wir zum ersten Mal mit dem Ziel, für den Tag der Befreiung etwas mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen und natürlich die Gefallenen zu ehren. Die Gräber in Porz sind namenlos, wir haben eine Anfrage an das NS-Dokumentationszentrum in Köln gestellt mit der Bitte, uns die Namen der bestatteten Soldaten anzugeben. Das wurde uns auch schon zugesichert.
Ähnliche Aktionen auf den Friedhöfen finden rund um den 8. Mai auch in Euskirchen, Hürth, Düsseldorf statt.
Unser Biker-Corso wurde von der Polizei genehmigt, sie wird uns am 8. Mai begleiten. Wir sind dennoch gespannt, wie die Aktion ablaufen wird.
Red.: Das Hauptziel ist also das Andenken an die gefallenen Soldaten und die Opfer des Krieges?
Sergej Besler: Ja, das ist unser Ziel. Es gibt eine Andacht und Kranzniederlegung. Vielleicht möchte jemand ein Gedicht vortragen oder ein Lied singen.
Red.: Ist der Rokerclub „Motostrishi“ Ihr Mitorganisator?
Sergej Besler: Nein, wir sind eine private Initiative „Erinnerung“ („Память“), der Club hat uns einfach unterstützt. Wir überlegen, uns als Verein zu gründen, aber die Formalien sind für uns zurzeit zu kompliziert.
Red.: Haben Sie versucht Kontakte zu den bestehenden deutschen Initiativen und Vereinen zu knüpfen, die auch das kollektive Andenken an die Opfer des Krieges pflegen?
Sergej Besler: Wir schauen erst, wie diese Aktion am 8. Mai verläuft. Danach kann sich uns jeder anschließen. Wir sind allerdings in der russischsprachigen Bevölkerung aktiv. Die Sache ist die, die deutschen Kriegsgräber werden gepflegt und haben Namen, die russischen aber nicht. Daher wollen wir uns erst auf die letzteren konzentrieren.
Red.: Unter welchen Fahnen wollen Sie am 8. Mai fahren?
Sergej Besler: Wir haben keine besonderen Anforderungen formuliert, die Fahnen müssen nur dem Thema entsprechen. Es können sowjetische oder russische sein, oder Fahnen der ehemaligen Republiken der Sowjetunion.
Red.: Werden Sie die ukrainische Fahne akzeptieren?
Sergej Besler: Ja klar! Wir können doch die Knochen der gefallenen Soldaten in dem Massengrab nicht nach Nationalität trennen.
Red.: In Deutschland wird der 8. Mai eher offiziell und ohne viel Aufsehen zu erregen gefeiert. Was glauben Sie, wie werden die Menschen auf der Straße reagieren, wenn Sie an dem Tag mit den lauten Bikes fahren?
Sergej Besler: In Köln wird das die erste Aktion sein, aber zum Beispiel in Hemmern wird sie schon seit einigen Jahren durchgeführt. Dort findet die Bevölkerung und auch die Ordnungskräfte die Aktion gut.
Red.: Werden Sie von irgendwelchen politischen Organisationen unterstützt?
Sergej Besler: Nein. Wir hoffen unsererseits auf etwas Aufmerksamkeit seitens der Medien. Wir bereiten gerade eine Einladung für die Presse vor. Vielleicht kommt noch jemand von der russischen Botschaft.
Wir versuchen mit unserer Aktion die Menschen über den Feiertag aufzuklären. Ich habe schon öfter auf dem Friedhof Gespräche mit Einheimischen, auch der mittleren Generation, geführt. Sie wissen oft nicht, welch besonderer Tag der 8. Mai ist. Wir würden uns freuen, wenn sich uns möglichst viele Menschen anschließen.
Red.: Erzählen Sie bitte etwas über sich selbst.
Sergej Besler: Ich wohne in Chorweiler. Nach Deutschland bin ich vor. ca. 20 Jahren als Spätaussiedler aus Usbekistan gekommen. In Usbekistan war ich Sportlehrer, leider wurde mein Diplom in Deutschland nicht anerkannt und ich musste mich beruflich neu orientieren. Jetzt arbeite als Busfahrer in Köln. Ich bin verheiratet und habe sieben Kinder.
04.05.2017, Alexander Litzenberger