Jan Üblacker
Nicht umsonst gilt in den meisten Stadtverwaltungen und Bauämtern das Credo „Innenverdichtung vor Außenentwicklung“. Einerseits wird damit der Flächenverbrauch vermindert, andererseits können so wertvolle natürlich Ressourcen, wie z. B. Seenlandschaften oder Wälder am Stadtrand erhalten werden. Die Erschließung großer Flächen auf Kosten von Frischluftzufuhr, geschützten Tier- und auch Pflanzenarten sind weitere Argumente, die von Kritikern der Außenerweiterung angeführt werden. Die Städte berauben sich damit ihrer eigenen, randstädtischen Naherholungsfläche.
Neben dem Verlust natürlicher Ressourcen sind auch die Kosten der infrastrukturellen Erschließung neuer Flächen zu nennen. Gas-, (Ab)Wasser-, Strom- und Telefonanschlüsse existieren nur dort, wo auch vorher schon ein Gebäude stand. Gleiches gilt für die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr. Diese sollte im Sinne einer schnellen Verbindung in die Innenstadt nicht nur durch ein Bussystem, sondern durch eine U- oder S-Bahn erfolgen. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass entstehende Einpendlerströme eine Mehrbelastung für ohnehin verstopfte Hauptstraßen bedeuten.
Ein Hauptargument der Befürworter des Neubaus von Großwohnsiedlungen am Stadtrand ist häufig die Bekämpfung des Wohnungsmangels in stark nachgefragten Metropolregionen. Einerseits ließe sich auch hier wieder entgegnen, dass dieser auch durch die Entwicklung bestehender Konversionsflächen in der Stadt erfolgen könnte, andererseits muss auch der Gedanke angeführt werden, dass Bevölkerungs- und Wanderungsprognosen in gewisser Hinsicht immer einen Blick in eine ungewisse Zukunft darstellen. Will heißen: Niemand kann zweifelsfrei vorhersagen, dass der Zuzug in die Städte weiterhin anhält. Die Gefahr eines Schweinezyklus ist besonders dadurch gegeben, dass Planung, Bau und Bezug solcher Siedlungen häufig mehr als 15 Jahre in Anspruch nehmen und sich an den Wanderungssalden, aber auch an den Wohnmotiven, bis dahin viel ändern kann. Im schlimmsten Fall sind die „neuen“ Großwohnsiedlungen zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung bereits überflüssig.
Mit den Wohnmotiven ist bereits das nächste Stichwort gefallen. Auch wenn wir uns sicher sein können, dass die planerischen Ideale der architektonischen Moderne der 1960er und 1970er Jahre inzwischen als weitestgehend Überholt gelten, wissen wir nicht, ob die „neuen“ Großwohnsiedlungen wirklich erfolgreicher als die Alten sein werden. „Urbanität durch Dichte“ ist die Phrase, die in diesem Zusammenhang häufig zu lesen ist. Dass diese „Dichte“ nur in begrenztem Maße vertikal zu erzeugen ist, sollte berücksichtigt werden. Hinzu kommt das veraltete Ideal der funktionsräumlichen Trennung von Wohnen, Freizeit und Arbeit, nach dem die „alten“ Großwohnsiedlungen entstanden sind. Im Beitrag des DRadio Kultur stellt das Beispiel der Seestadt/Aspern in Wien ein erfolgversprechendes Konzept dar, eben weil es diese Ideale hinter sich lässt. Kleinteiliges Gewerbe im Erdgeschoss mit bis zu 4 Metern (!) Deckenhöhe und auch mal engere Straßenzüge erzeugen ein kompaktes, funktional durchmischtes Wohngebiet.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, was mit den bestehenden Großwohnsiedlungen geschehen soll. Werden sie weiterhin Wohnstandorte der Marginalisierten sein oder sollte man besser, anstatt neue planerische Experimentierfelder zu eröffnen, die alten Siedlungen weiterentwickeln? Einer der entscheidenden Faktoren ist dabei das Image. Die Entwicklung vieler Großwohnsiedlungen hin zu „Sozialen Brennpunkten“ hat zu einer stark negativen Raumsemantik geführt. Insbesondere Außenstehende und Medien tragen zur Bildung des schlechten Rufs bei. Die Folge: Trotz großer Wohnraumnot sind neu zuziehende Städter nicht bereit, sich in den bereits existierenden Anlagen niederzulassen. Sie leiden nach wie vor unter einem schweren Stigma.
Die zusammenfassende Aussage lautet daher: Wir brauchen keine neuen Großwohnsiedlungen, auch weil in den existierenden genügend Potenziale zur Bekämpfung der Wohnungsnot liegen. Kommt es doch zu einem Neubau, wie in Wien und München, sollten die alten Fehler bei der Planung und Belegung genau analysiert werden, um diese in Zukunft zu vermeiden.
Quelle: https://stadtundmigration.wordpress.com/2015/07/05/wir-brauchen-keine-neuen-grossiedlungen
Über den Autor:
Jan Üblacker ist Doktorand am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) der Universität zu Köln und Wissenschaftlicher Referent des Themenbereichs Stadtentwicklung der FWGW e. V. in Düsseldorf. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Stadt- und Regionalforschung (insbesondere Gentrification) und den Methoden der empirischen Sozialforschung.
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